Es sind längst mehr als nur technische Anlagen – Rechenzentren entwickeln sich aktuell zur neuen Premiumklasse am Immobilienmarkt. Projektentwickler, Bauunternehmen aber auch Energieversorger und Politik stehen vor komplexen Herausforderungen. Stromkapazitäten werden auf Vorrat blockiert, ESG-Auflagen steigen, und nicht jeder Standort ist zukunftsfähig. Eine von Monika Rosen moderierte Diskussion in der Österreich Amerikanischen Gesellschaft (ÖAG) mit Expert:innen aus Technologie, Bau und Infrastruktur zeigt, worauf es künftig ankommt.
Laut aktuellen Medienberichten haben Amazon und Microsoft ihre Ausbaupläne außerhalb der USA vorübergehend zurückgestellt. Welche Strategie verfolgt Microsoft Österreich konkret?
Slezak: Tatsächlich justieren wir unsere Planungen laufend – abhängig vom technologischen Fortschritt, aber vor allem den Bedürfnissen unserer Kunden. Kürzlich haben wir unsere Absicht bekräftigt, weltweit über 80 Milliarden US-Dollar in Rechenzentren zu investieren. Wir bauen dort, wo die Nachfrage tatsächlich vorhanden ist. Lokale Rechenzentren bedeuten weniger Latenz, besseren Datenschutz, höhere Ausfallsicherheit und mehr Flexibilität im Umgang mit regulatorischen Anforderungen wie etwa der DSGVO. Diese Nähe verbessert auch die Nachhaltigkeit, denn regionale Datenverarbeitung erfordert weniger energieintensive Datenübertragung.
Wie beurteilen Sie die Risiken global agierender Anbieter?
Windbichler: Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass ein Rechenzentrum in Österreich automatisch unter europäischem Recht steht. Wenn ein US-Anbieter der Betreiber ist, greifen unter Umständen Gesetze wie der US Cloud Act. Dieser erlaubt es Behörden in den USA, auf Daten zuzugreifen, selbst wenn sie physisch in der EU gespeichert sind. Das kann für Banken, Behörden oder auch Gesundheitsdienstleister problematisch werden. Deshalb müssen wir in Europa ernsthaft über digitale Souveränität diskutieren – und darüber, ob wir unsere kritische Infrastruktur in der Hand internationaler Konzerne wissen wollen.
Slezak: Entscheidend ist eine realistische Risikobewertung. Wir dürfen weder alles verteufeln noch blind vertrauen. Es geht um Resilienz – rechtlich, technisch, wirtschaftlich.
Alexander Windbichler: Infrastruktur und Software müssen getrennt betrachtet werden. Wer in Europa digitale Souveränität ernst meint, muss sicherstellen, dass Rechenzentren unabhängig und kontrollierbar bleiben – nicht nur formal, sondern auch faktisch.
Die STYR-Group ist als Anbieter von technischer Gebäudeausrüstung beim Bau von Rechenzentren involviert. Was sind die kritischen Gewerke bei der Errichtung?
Colle: Im Kern sind es zwei große Dinge: Elektrotechnik und Kühlung. Mittelspannungsanlagen, Verteilung und Notstromaggregate. Auf der anderen Seite steht die Kühlung, die teils über klassische Kälteanlagen, teils über Außenluft oder Verdunstungskühlung läuft. Österreich ist gut aufgestellt, wenn es um kleinere bis mittelgroße Rechenzentren geht. Bei Großprojekten mit mehr als 50 Megawatt sieht es anders aus. Da übernehmen meist ausländische Generalunternehmer, und heimische Firmen werden nur noch für Teilleistungen engagiert. Dabei könnten wir viel mehr leisten, wenn wir frühzeitig eingebunden würden – vor allem bei Planung und Projektsteuerung.
Was ist bei der Umsetzung besonders herausfordernd?
Colle: Die Zuverlässigkeit. Rechenzentren müssen rund um die Uhr laufen. Jede Eventualität muss getestet werden: Stromausfälle, Serverüberlastung, Temperaturanstieg. Wir simulieren vier bis sechs Wochen lang alle denkbaren Fehlerfälle, bevor wir ein Rechenzentrum übergeben. Bei der Errichtung eines Rechenzentrums geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Prozesse, Dokumentation und internationale Standards – insbesondere bei Sicherheit.
Werner: Ein Schwerpunkt ist sicher die energieeffiziente Kühlung. Rechenzentren erzeugen viel Abwärme – das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance. Unser Konzept „White Cool Spacing“ analysiert in Echtzeit die Temperaturverläufe im Rechenzentrum. Mithilfe eines engmaschigen Sensorennetzes und KI-gestützter Regelung können wir die Kühlung exakt dort einsetzen, wo sie gebraucht wird. So lassen sich bis zu 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Klimatisierung einsparen. Das entlastet nicht nur das Netz, sondern senkt auch massiv die Betriebskosten.
Welche weiteren Nachhaltigkeitsstrategien verfolgen Sie bei Microsoft?
Slezak: Unsere Rechenzentren für die Cloud werden als Hot Data Center konzipiert – also mit höheren Betriebstemperaturen. Dadurch reicht in Mitteleuropa meist schon die Außenluft zur Kühlung. Nur bei über 30 Grad Außentemperatur setzen wir ergänzend auf Verdunstungskühlung – ganz ohne F-Gase (Anm: künstlich hergestellte, flourierte Treibhausgase). Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass über 90 Prozent der ausgedienten Elektronikkomponenten wiederverwertet werden.
Wie wählt man einen geeigneten Standort aus?
Eiter: Neben der Anbindung an Glasfasernetze und ein leistungsfähiges Stromnetz spielen auch Umweltaspekte und regulatorische Vorgaben eine Rolle. Europa hat strenge Richtlinien – etwa beim Brandschutz oder beim Datenschutz. Das macht die Projekte aufwändiger, aber auch langlebiger. In den USA geht vieles schneller, aber mit deutlich weniger Regulierung.
Slezak: Wichtig ist auch, dass nicht nur gebaut, sondern auch genutzt wird. In Österreich betreuen wir über 400 Startups, die auf Cloud-Services aufbauen. Für sie ist der Standort eines Rechenzentrums entscheidend. Nähe, Sicherheit und Performance sind harte Kriterien für die Auswahl.
Colle: Künftig wird vor allem die Wärmenutzung eine Rolle spielen. In Österreich gibt es ein gutes Beispiel: Die Abwärme eines Rechenzentrums wurde in das Fernwärmenetz eines Krankenhauses eingespeist. Das ist effizient, nachhaltig – und spart Ressourcen. Es gilt Standorte, bei denen solche Synergien möglich sind. Das berührt damit Themen wie Raumordnung und Flächenwidmung. Denn, wenn ich die Abwärme nicht mit einem vernünftigen Aufwand in das Netz bringe, wird es schwierig. Für Datacenter gilt daher die uralte Immobilienweisheit: Lage, Lage, Lage.
Ich höre zwischen den Zeilen, dass diese Weisheit noch nicht durchgehend berücksichtigt wird?
Colle: Da haben wir jedenfalls noch Potenzial. Wenn man sich so ein Rechenzentrum aus der Vogelperspektive anschaut, sieht man auf dem Dach überall riesige Rückkühler. Vereinfacht formuliert: Wenn in ein Rechenzentrum 10 Megawatt Strom reingehen, blinken drinnen ganz viele Leuchtdioden, die Wärme erzeugen. Diese Energie wird oft durch Rückkühler am Dach weggekühlt. Sie also stattdessen in ein Fernwärmenetz einzuspeisen wäre absolut sinnvoll. Der Vorteil eines Rechenzentrums ist, es produziert permanent plus minus ein paar Prozent Energie. Und für das Energienetz ist Stabilität ein entscheidender Faktor. Insgesamt ist das auch eine Frage der Nachhaltigkeit. Denn die verbrauchte Energie wird optimal genutzt.
Eiter: Das ist auch eine Frage der Regulatorik. Denn wir kennen Fälle, in denen ein Rechenzentrum direkt neben dem Fernwärmenetz steht, aber nur 20 Prozent der Abwärme genutzt werden. Energieversorger sind daher auch in die Pflicht zu nehmen.
Windbichler: Darüber hinaus gibt es eine weitere Problematik: Derzeit sichern sich viele Investoren riesige Stromkapazitäten – oft bis zu 100 MW – um Rechenzentren zu bauen, die vielleicht nie in Betrieb gehen. Diese Blockade behindert andere Projekte, etwa von der Industrie oder mittelständischen IT-Anbietern. Wir müssen aufpassen, dass wir keine spekulative Blase erzeugen.
Was kostet grundsätzlich ein Rechenzentrum?
Colle: Es gibt eine Faustregel. Für den Bau eines Rechenzentrums rechnen wir mit rund 11 Millionen Euro pro Megawatt Anschlussleistung. Es handelt sich um langfristige Investitionen, die sorgfältig geplant und genutzt werden müssen.
Eiter: Der Markt wächst rasant. Das Investitionsvolumen für Rechenzentren in Europa hat sich zwischen 2022 und 2024 von 16 auf 28 Milliarden Euro fast verdoppelt. Für 2030 erwarten wir über 70 Milliarden Euro Investitionen. Das liegt nicht nur an KI, sondern auch an der zunehmenden Auslagerung von IT-Infrastruktur. In Österreich sehen wir vor allem Projekte mit 20 bis 25 Megawatt. Großanlagen entstehen eher in Frankfurt, Dublin oder Paris.
Ist unser Stromnetz bereit für solche Investitionen?
Slezak: Es muss bereit sein. Denn wir haben keine Alternative. Die Stromnetze müssen mit der Digitalisierung und der Energiewende Schritt halten. Rechenzentren könnten sogar zur Netzstabilisierung beitragen – durch gezielte Kühlleistung bei Energieüberschuss oder durch Rückeinspeisung mittels Notstromsystemen.
Colle: Technisch ist das realisierbar. Leider verbieten viele Mietverträge in Colocation-Zentren den Einsatz von Notstromanlagen für andere Zwecke als Stromausfälle. Hier braucht es ein Umdenken.
Wenn ich von diesem hohen Stromverbrauch höre, denke ich automatisch an Kosten. Wie ist Europa da im Wettbewerb aufgestellt?
Windbichler: Die hohen Energiepreise in Europa sind ein echter Wettbewerbsnachteil. Deshalb investieren wir selbst in Stromerzeugung – Wasserkraft, Photovoltaik, Windkraft. Langfristige Preisstabilität ist entscheidend. Wenn die Stromkosten doppelt so hoch sind wie in den USA, spürt das jeder Betreiber.
Slezak: Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Rechenzentren einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen. Sie reduzieren Pendelverkehr, ermöglichen Homeoffice, treiben Innovation an. Ihre Energieeffizienz ist meist deutlich besser als bei klassischer IT-Infrastruktur in Firmenkellern.
Vielen Dank für diese Diskussion.
Die Teilnehmer:
Florian Slezak (Microsoft Österreich)
Alexander Windbichler (CEO Anexia, CISPE-Vorstand)
Markus Colle (CEO STYR Group)
Ina Werner (Smart Infrastructure, Siemens)
Clemens Eiter (CFO PORR Group)